Blog
Szene aus „Die Verwandlung“ von Franz Kafka | Illustration von Roberto Maján
Fast wäre Franz Kafka nach Madrid übergesiedelt! Es kam dann doch nicht dazu, und Kafka hat die Stadt und ihre Bars dem Schriftstellerkollegen Ernest Hemingway überlassen. Dennoch ist sein Einfluss in Madrid und in ganz Spanien groß, und im Jubiläumsjahr finden zur Feier Kafkas zahlreiche Veranstaltungen statt.
Madrid ist nicht die Stadt, mit der man Franz Kafka als erstes in Verbindung bringt. Doch wenn man in die großartige Suchmaschine der Universität Wien, die Kafkas kompletten Briefe und Tagebücher umfasst, „Madrid“ eingibt, erhält man erstaunlicherweise 22 Einträge.
Sie beziehen sich fast ausschließlich auf Kafkas „Madrider Onkel“. Alfred Löwy, der Bruder seiner Mutter, ist als junger Mann nach Madrid gekommen und war dort in leitender Funktion bei der Eisenbahn tätig. Zeitweise liebäugelte Kafka sogar damit, selber nach Madrid überzusiedeln. Aber sein Onkel schien nicht so sehr davon überzeugt zu sein und vermittelte ihn lieber als Anwalt an die Assicurazioni Generali in Prag.
Trotz dieser eher entfernten Beziehung zu Madrid und Spanien wird Kafka auch hier als ungemein prägend für die Literatur des 20. Jahrhunderts betrachtet. Davon zeugt auch die Vielfalt der Akteure, die an den Veranstaltungen des Jubiläumsjahrs mitwirken.
Szene aus „Ein Hungerkünstler“ von Franz Kafka | Illustration von Roberto Maján
Von April bis November findet ein vielseitiges und multidisziplinäres Programm zu Kafkas hundertsten Todestag statt. Es umfasst mehr als 30 Veranstaltungen. Beteiligt sind viele Kulturinstitute, insbesondere natürlich aus Tschechien und Österreich, sowie das jüdische Kulturinstitut Centro Sefarad-Israel. Auch Universitäten und sogar ein Buchhändler*innenverein sind dabei. Geplant sind Ausstellungen, Lesungen, Diskussionen, Workshops für Kinder, Filmzyklen, Performances, ein Buchklub sowie ein großes Konzert mit Gabriel Sivak. Viele Veranstaltungen sind in größere Kontexte des Madrider Kulturlebens wie zum Beispiel die Noche de los Libros (Nacht der Bücher) im April oder die Feria del Libro (Buchmesse) im Mai/Juni eingebunden.
Der Startschuss dazu ertönte bereits im Dezember 2023 mit „Being Kafka“, der Sonderausgabe des Kulturmagazins des Goethe-Instituts „Zeitgeister“.
Szene aus „Der Verschollene“ von Franz Kafka | Illustration von Roberto Maján
Die spanische Ausgabe von „Being Kafka“ erschien im März, mit Beiträgen dreier spanischen Journalisten: Guillermo Martínez, Víctor Millán und David Granda. Ihre Themen: das Genie, das einem langweiligen Brotberuf nachgeht (nachgehen muss), die Mythen rund um Kafkas Sexualität sowie die Intimität seiner allerletzten Tage im Sanatorium in Kierling.
Zentrales Element der Online-Publikation ist das von dem ebenfalls spanischen Illustratoren Roberto Maján zunächst nur für Instagram konzipierte Format „Kafka als Bilderbuch”. Es gefiel allen am Projekt Beteiligten so gut, dass es nicht nur weltweit als Webausstellung zu sehen ist. Es kann inzwischen auch an mehreren Orten im Großformat physisch und lokal bewundert werden kann; neben Madrid auch in Krakau und Sarajewo. Und so schlagen Majáns Illustrationen die Brücke zwischen digital und physisch, zwischen Spanien und Mittel- und Südosteuropa.
Unter dem Titel „Kafka und der Blick des Zeichners“ ist die Ausstellung am Goethe-Institut Madrid als spanisch-österreichischer Bilderdialog zwischen Maján und dem Wiener Comic-Zeichner und Kafka-Biografen Nicolas Mahler konzipiert. Eröffnet wird sie am 18. April mit einer Diskussionsveranstaltung über das Kafkaeske in unterschiedlichen künstlerischen Genres. Ein Tag später kann man im Rahmen der „Nacht der Bücher“ einen Rundgang durch die Ausstellung mit einer Lesung von Textfragmenten machen und am Samstag darauf dürfen Kinder die Kreativität Kafkas erkunden und selbst zu Autor*innen werden.
Szene aus „Der Process“ von Franz Kafka | Illustration von Roberto Maján
Das Filmprogramm startete bereits Anfang Mai. Der Filmzyklus „...würde Kafka heute Filme machen…“ umfasst fünf Filme, die sehr wohl Kafkas Fantasie hätten entspringen können. Im Oktober und November wird der österreichische Dokumentarfilm „Kafkas letzte Reise“ von Dr. Manfred Müller präsentiert. Unter dem Titel „Kafka geht ins Kino“ werden Filme über Franz Kafka sowie Filme gezeigt, die er selbst zu Lebzeiten im Kino gesehen hat. Der Autor des gleichnamigen Buchs Hanns Zischler wird anwesend sein.
Der autodidaktische Künstler Roberto Maján kommt aus der Kleinstadt Soria und lebt in Madrid. Er arbeitet als Illustrator für verschiedene Verlage und Medien und gründete den kleinen Illustrationsverlag Artichoque. Maján wurde, das muss leider zugegeben werden, erst als zweiter Illustrator kontaktiert, entpuppte sich dann aber als ein wahrer Glücksgriff. Ein erster Kontakt hatte den Auftrag in letzter Minute und kurz vor den Sommerferien abgelehnt und da kamen wir kurzfristig auf Roberto zurück, mit dem es schon vor einigen Jahren eine punktuelle Zusammenarbeit für ein anderes Projekt gegeben hatte. Damals wussten wir noch gar nicht, was für ein großer Kafkakenner und -liebhaber er ist. Und gibt es idealere Arbeitsaufträge als diejenigen, welche die Leidenschaft des Kreativen berühren?
Die Vorgaben waren lediglich, Kafkas Werke jeweils in drei bis fünf Illustrationen zu erzählen, und das im Hochkantformat. Denn es sollte sich ja ursprünglich um ein reines Instagramformat handeln. Außerdem sollten die einzelnen Bilder nicht mit Information überfrachtet werden und nur wenige Farben enthalten. Der Stil seiner Serie „Freestyle Wrestling“ sowie auch derjenige der Reihe „Kamasutra“ erschien perfekt. Einerseits frisch und aktuell, gleichzeitig ästhetisch an Kafkas Lebzeiten anknüpfend. Die Auswahl der Texte oblag dem Künstler; lediglich sollte es eine ausgewogene Mischung aus bekannten und unbekannteren und nicht ausschließlich düstere oder grausame Werke sein.
Unter diesem Aspekt war klar, dass „Der Verschollene“ unbedingt mit bedacht werden und „In der Strafkolonie“ lieber außen vor bleiben sollte. Die Entscheidung fiel auf drei Bilder pro Werk, nur beim „Brief an den Vater“ entstand eine Viererserie. Alle fünf Reihen haben denselben grafischen Stil und viele weiße und schwarze Elemente. Jede Serie ist durch eine eigene Farbpalette sichtbar vereint. Das Resultat stieß auf derart positive Resonanz, dass entschieden wurde, das gesamte Projekt „Being Kafka“ mit Entwürfen von Roberto grafisch zu rahmen. Es gibt Plakate, Postkarten, Aufkleber, Stempel und… ein riesiges Banner an der Fassade des Goethe-Instituts Peru in Lima. Von Spanien aus nun eine Kafka-Brücke auch nach Südamerika.
Johannes von Stritzky arbeitet als Internetredakteur für das Goethe-Institut in Spanien. Ursprünglich kommt er aus Hamburg, wo er Politikwissenschaft studierte. Er liebt den Großstadttrubel ebenso wie die ländliche Ruhe und lebt daher seit 2007 zeitweise in der Metropole Madrid und zeitweise in einem 30-Seelendorf namens Utande.
Bildnachweis: © Roberto Maján Kafka als Bilderbuch - Goethe-Institut Spanien
Copyright: © Goethe-Institut