Programm
Wissenschaftlicher Vortrag von Juliane Prade-Weiss
In vielen Texten Kafkas wird geklagt: über körperliche Beschwerden, aber auch über Beziehungen, Hierarchien, Institutionen oder andere Tücken. Und in vielen Texten kann keine Abhilfe geschaffen werden, stattdessen untersuchen sie die Spannung zwischen Möglichkeiten, Recht walten zu lassen, und der Struktur von Klagen, die über das Recht hinausgeht. Klagen sind Grimms Wörterbuch zufolge „eig. geschrei, selbst vor Gericht geschrei, mit dem man seinen schädiger beschuldigt, dasz es möglichst alle hören, und die hilfe des richters anruft“. Klagen geben zwar zu Anklagen und Urteilen Anstoß, transzendieren diese aber, weil Schmerzen und Kränkungen nicht ungeschehen zu machen sind, Tode und Verluste sich der Wiedergutmachung entziehen. Dass Klagen das Recht transzendieren, ist kein leichtfertig auszustellender Befund, ist doch der juridische Diskurs eine zentrale Instanz der Konfliktverhandlung westlicher Gesellschaften. Im Vortrag werden Texte Kafkas im Zentrum stehen, in denen der ausgebildete Jurist und Versicherungsanwalt Kafka sich dem Ungenügen juridischer Begriffe und Prozesse dabei widmet, Klagen Genüge zu tun. Besonderes Augenmerk gilt dabei Kafkas Kritik an einer wichtigen Geste der Moderne: dem öffentlichen Aufschrei gegen Ungerechtigkeit, der eine Plattform für Anwälte schafft, die im Namen von Klienten sprechen, ihnen im selben Zug aber auch die Stimme nehmen. In der Moderne, so erscheint es bei Kafka, werden Beschwerden, die Gerechtigkeit einklagen, ein Leitmedium von Individualität, doch die institutionelle Logik modernen juristischen Handelns kann dieses Versprechen nur verraten.
Juliane Prade-Weiss, Professorin am Institut für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft der Ludwig-Maximilians-Universität München
Moderation: Franziska Mayer
Eintritt: frei
Im Rahmen der Vortragsreihe „Franz Kafka im interkulturellen Kontext Prags“ in München, Regensburg und Prag
Eine Veranstaltung des Adalbert Stifter Vereins – Kulturinstitut für die böhmischen Länder in Kooperation mit dem Bohemicum – Center for Czech Studies der Universität Regensburg, dem Institut für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft der Ludwig-Maximilians-Universität München und dem Institut für tschechische Literatur der tschechischen Akademie der Wissenschaften.