Blog
Laura Prange: Das Ungeziefer bei Franz Kafka – Untersuchung der Intertextualität in Franz Kafkas Werken„Die Verwandlung“ und „Brief an den Vater“
Amalia Seidel: „Die Verwandlung" als Ventil für Kafkas Gefühle? Aus fiktional wird real!
Can Paulo Kirkic: Kafkas Intertextualität
Emma Heischkamp: Zu komisch für die Wirklichkeit
Inwiefern spiegelt sich Kafkas persönliche Lebensgeschichte in seinen Werken wider? In der folgenden Ausarbeitung beziehe ich mich intertextuell auf Franz Kafkas Autobiographie „Brief an den Vater“ (1919) sowie auf sein Werk „Die Verwandlung“ (1915). In beiden Erzählungen spielt das Verhältnis zwischen Vater und Sohn eine zentrale Rolle. Während Franz Kafka beschreibt, dass er streng und empathielos von seinem Vater, Herrmann Kafka, erzogen wurde, spiegelt sich diese Härte auch in dem Verhältnis zwischen Gregor, dem Protagonisten, und seinem Vater wider. Zur Bestrafung einer belanglosen Tat von Franz Kafka sperrt Herrmann Kafka seinen Sohn für eine Nacht auf dem Balkon aus.
Diese Art von Bestrafung zeigt sich in „Die Verwandlung“ im Apfelwurf des Vaters, mit dem dieser seinen Sohn mutwillig verletzt. Die Auswirkung dieser Interaktion zeigen sich bei Gregor sowohl physisch als auch psychisch. Gregors Wunde infiziert sich und er isoliert sich stärker von seiner Familie. In Gregors Situation spiegelt sich Kafkas eigenes psychisches Leid. Er selbst fühlt sich seinem Vater unterlegen und verliert an Selbstvertrauen. Daher dominiert die Vaterrolle sowohl in Kafkas Fantasiewelt als auch in seinem realen Leben. Auch Gregor neigt vor seinem Vater demütig den Kopf und zeigt somit Respekt sowie Angst. Diese Angst findet sich auch in Kafkas Leben, denn aufgrund dieser fühlte er sich nie in der Lage, seinen Vater mit seinen Anliegen zu konfrontieren. Somit hat Hermann Kafka seinen Sohn gewissermaßen „mundtot“ gemacht. Diese fehlende Kommunikation findet in dem genannten Werk eine Parallele. Gregor Samsa kann zwar alle Gespräche verfolgen, jedoch in seiner Käfergestalt nicht reagieren, geschweige denn antworten.
Franz Kafka empfand sich zudem als schwach. Er wünschte sich, sich vor seinem Vater zu verstecken bzw. zu verkriechen. Das Verkriechen visualisiert er in der Käfergestalt Gregors. Dieser nutzt das Kanapee in seinem Zimmer, um sich vor seiner Familie zu verstecken. Zum einen tut er das, um diese vor seinem Anblick zu schützen und zum anderen aus Scham, da er seine Familie nicht weiter versorgen kann. Da Kafka den Vorstellungen seines Vaters nicht entsprechen konnte, verkroch auch er sich aus Scham und dem Gefühl der Unterlegenheit. Zusätzlich beschreibt sich Franz Kafka im Gegensatz zu seinem Vater als ein „sich entwickelndes Kind“. Diese kindliche Weltanschauung zeigt sich unterdessen in Gregors Infantilität. Dieser legt großen Wert auf das „Bild der Dame“, das symbolisch für unerfüllte Liebe, jedoch auch für sexuelle Infantilität steht. Zudem flüchtet der Protagonist sich durch dieses Bild in eine andere Welt, in der er in der Lage ist, Beziehungen zu Frauen aufzubauen. Franz Kafkas Leben selbst ist geprägt von einigen Verlobungsabbrüchen. Hier manifestiert sich seine eigene Beziehungsunfähigkeit.
Vor dem Hintergrund dieser Erkenntnisse lässt sich festhalten, dass Kafkas eigene Geschichte in seinem Werk „Die Verwandlung“ stark zum Ausdruck kommt. Die Isolation, an der Gregor Samsa stirbt, zieht sich durch Kafkas gesamtes Leben. Er fühlt sich unter der Unterdrückung seines Vaters nie anerkannt und entzieht sich dem Familiengefüge vollkommen.
Wer „Die Verwandlung“ jemals gelesen hat, dem ist bestimmt aufgefallen, wie die Vater-Sohn-Beziehung sich durch das gesamte Werk zunehmend verschlechtert und immer angespannter wird. Wer nun noch den „Brief an den Vater“ gelesen hat, dem ist auch hier eine ähnliche Situation direkt aufgefallen, doch ist das nur ein Zufall oder besteht eine Verbindung zwischen den Werken und nahm Kafka „Die Verwandlung“ als Ventil für seine Gefühle und Gedanken? Ich bin der Überzeugung, dass eine absichtliche Verbindung zwischen „Die Verwandlung“ und den „Brief an den Vater“ existiert, vor allem hinsichtlich der Vater-Sohn-Beziehung. Der wohl zentralste Punkt im „Brief an den Vater“ ist die Furcht, die der Sohn Franz Kafka gegenüber seinem Vater Hermann Kafka empfindet. Diese Furcht spiegelt sich in „Die Verwandlung“ wider, denn dort hat Gregor Samsa große Angst vor seinem Vater, als dieser ihn mit Äpfeln bewirft. Gregor beschreibt die Erziehung als hart und streng genauso wie Kafka in seinem autobiografischen Text.
Die Gemeinsamkeiten der beiden Väter liegen aber nicht nur in der Erziehung, sondern auch in ihrem Beruf – beide haben ihr Leben lang hart und schwer gearbeitet, doch der Vater von Gregor lässt sich von seinem Sohn aushalten und finanziell unterstützen und der Vater von Kafka sagte einst zu ihm, er wolle „ganz und gar von ihm leben [zu wollen]“ (Brief a.d. Vater). Franz Kafka und Gregor Samsa sind sich auch ähnlich, denn beide lassen sich von ihren Vätern zurückweisen oder ein gewisses Schuldgefühl zuweisen, so bezahlt Gregor Samsa die Schulden seiner Eltern, weil er sonst Schuldgefühle empfinden würde. Die Parallelen zwischen den Vätern und Söhnen und zwischen den zwei Werken sind also deutlich zu erkennen. Es ist zu vermuten, dass Kafka „Die Verwandlung“ als Ventil nutzte, um seine Gefühle zu verarbeiten, der „Brief an den Vater“ könnte als eigene Klärung seiner Gedanken dienen, die nur für ihn selbst bestimmt ist und deswegen nie selbst veröffentlicht wurde.
Der Autor Franz Kafka versucht, mit seinen beiden Werken „Die Verwandlung" und „Brief an den Vater" auf zwei verschiedene Weisen seinen Verarbeitungsprozess von Sorgen und Schuldgefühlen zu erläutern und zu kompensieren. Dabei gibt es verschiedene Gemeinsamkeiten und Auffälligkeiten in den beiden Werken.
In Franz Kafkas Werken „Die Verwandlung“ und „Brief an den Vater“ gibt es viele Gemeinsamkeiten. Beide beschäftigen sich mit der schwierigen Beziehung zwischen Vater und Sohn. In „Die Verwandlung“ ist der Vater eine wichtige, aber indirekte Figur, die auf Gregor Samsa Einfluss hat. Gregor fühlt sich nach seiner Verwandlung in einen Käfer immer mehr von seiner Familie entfremdet. Auch im „Brief an den Vater“ spricht Kafka über seine eigene, problematische Beziehung zu seinem Vater und fühlt sich von ihm nicht verstanden. In beiden Texten geht es auch um Isolation und das Gefühl, nicht anerkannt zu werden. Gregor gibt alles für seine Familie, ohne dafür Anerkennung zu bekommen, und Kafka fühlt sich von seinem Vater immer unzulänglich. Beide Werke zeigen, wie die Figuren mit ihrer Identität und ihrer Rolle in der Familie kämpfen. Gregor durch seine Verwandlung und Kafka durch die ständige Ablehnung seines Vaters. Beide Texte spiegeln Kafkas inneren Konflikt wider und zeigen seine Suche nach Anerkennung und einem klareren Selbstbild. Abschließend finde ich, dass sowohl „Die Verwandlung“ als auch der „Brief an den Vater“ eindrucksvoll Kafkas innere Konflikte widerspiegeln. Besonders berührend ist, wie Kafka in beiden Werken seine Entfremdung, die Angst vor dem Versagen und das Streben nach Anerkennung thematisiert. Diese persönlichen Kämpfe, besonders die schwierige Beziehung zum Vater, sind universelle Themen, die viele nachvollziehen können. Kafkas Werke regen dazu an, über die eigenen Beziehungen und das eigene Selbstbild nachzudenken. Sie zeigen auf, wie sehr unsere Herkunft und die Erwartungen anderer unser Leben prägen können.
Wir alle haben in unserer Schulzeit „Die Verwandlung“ von Franz Kafka gelesen und mit Sicherheit gedacht: „Wie kommt man auf solche Ideen?“. Doch wenn man sich einmal die Zeit nimmt und versucht, Franz Kafkas Leben durch den „Brief an den Vater“ zu verstehen und seine Emotionen und Erfahrungen nachzuvollziehen, wird klar: zwischen der kafkaesken Erzählung und seinem von persönlichen Erinnerungen geprägten Brief gibt es einige intertextuelle Gemeinsamkeiten.
Ihr denkt euch jetzt vielleicht: „Aber wer macht sich denn die Arbeit, all diese herauszuschreiben?“ und ich kann sagen, dass ich mein Bestes gegeben habe, dieser Aufgabe nachzugehen. Fangen wir also ganz von vorne an. Wie jeder Mensch mit einem hoffentlich guten Vater-Sohn-Verhältnis beginnt auch Kafka seinen 1919 geschriebenen Brief mit den Worten „Liebster Vater“. Was daran komisch ist? Tja, Franz Kafka und sein Vater hatten vieles, aber sicherlich keine gute oder liebevolle Vater-Sohn-Beziehung. Dies verarbeitet er auch in „Die Verwandlung“. Kurz darauf erwähnt er: „Ich habe mich seit jeher vor dir verkrochen, in mein Zimmer“. Auch dieses Element des Verkriechens greift er in Gregors Leben auf. Dieser kriecht seit seiner Vertierung auch, isoliert von allen, in seinem kleinen Zimmer umher. Aber zurück zu dem Vater-Sohn-Verhältnis: Auch Gregor hat starke Angst, die Gefühle seines Vaters zu reizen oder ihn gar zu verärgern. Diese Furcht teilt er seinem Vater in dem nie abgeschickten Brief auch mit Aussagen wie „aus der Furcht, die ich vor dir habe“ oder „dass ich ein solches Nichts für ihn war“ mit.
Aber zum Glück gibt es sowohl in Gregors als auch in Kafkas Leben noch weitere Familienmitglieder. Das gute Verhältnis zu seiner Schwester wird in beiden Werken klar. Zum einen unterstützt Gregor Grete in ihrer musikalischen Weiterbildung, ganz zum Ärger des Vaters. Zum anderen gesteht Franz Kafka: „Ottla habe ich in ihrem Eigensinn unterstützt.“ Auch die Zimmerherren finden sich indirekt in dem „Brief an den Vater“ wieder, denn er schreibt: „kamen Fremde warst du ja anders“.
Schaut man sich diese intertextuellen Gemeinsamkeiten abschließend noch einmal an, wird deutlich, dass „Die Verwandlung“ viele autobiographische Züge aufweist. Jedoch ist nicht aus den Augen zu verlieren, dass Gregor nicht Franz Kafka verkörpern soll und es sich immer noch um eine Erzählung handelt. Allerdings gibt es viele Parallelen und es wird deutlich, dass seine Kindheit ihn stark geprägt hat und er einige dieser Ereignisse in „Die Verwandlung“ verarbeitet.
Denkt ihr jetzt immer noch, dass „Die Verwandlung“ einfach zu komisch ist, um wahr zu sein oder hat sich eure Meinung diesbezüglich ein wenig geändert?
Foto Jolana Havelková: Die temporären Begegnungen