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Sarah Wehefritz: Parallelen zwischen Gregor Samsa aus "Die Verwandlung" und Franz Kafka
Tammo Hahn: Kafka - Botschaften zwischen den Zeilen
Valentine Vernau: Franz Kafka und Gregor Samsa - die gleiche Person?
„Ohne ihn zu kennen, verglichst du ihn […] mit Ungeziefer, und wie so oft für Leute, die mir lieb waren […]“. Ein Zitat aus der Autobiografie „Brief an den Vater“, welches auch zur Erzählung „Die Verwandlung“ passt. Von diesen intertextuellen Gemeinsamkeiten gibt es in den beiden Werken eine Menge zwischen Gregor Samsa und seinem Vater und Franz Kafka und seinem Vater Hermann Kafka.
Die beiden Werke weisen folgende intertextuelle Gemeinsamkeiten auf: Der Vater von Franz Kafka habe, nach Kafka, sein ganzes Leben aufgeopfert, indem er durch das Arbeiten für Nahrung und einen Wohnort gesorgt hat. Gearbeitet, um für die Familie zu sorgen, hat ebenfalls Gregors Vater, welcher bis zu seinem Ruhestand keinen Urlaub gemacht hat, weshalb man auch hier von Aufopferung reden kann.
Gearbeitet haben beide viel, aber Verantwortung übernahmen sie nicht. So schiebt Kafkas Vater Kafkas Schwächlichkeit auf ihn, anstatt Verantwortung dafür zu übernehmen, dass er als Vater versagt hätte. Er nimmt also den leichten Weg. Auch leicht nimmt es sich Gregors Vater, der, nach dem Pleitegehen seines Geschäfts, die Verantwortung der finanziellen Versorgung auf Gregor ablegt und sich ausruht, anstatt sich einen neuen Job zu suchen, um Gregor zumindest in der finanziellen Versorgung zu unterstützen.
Nicht nur diese Beziehung zwischen Vater und Sohn weist Gemeinsamkeiten auf, sondern auch die Figurenkonzeption: Gregor mit Kafka und die beiden Väter miteinander. So sind Gregor und Kafka beide ledig und haben eine gewisse sexuelle Infantilität, da Gregor, außerhalb seiner Familie, nur die Frau im Bild und Kafka zwei gescheiterte Verlobungen mit derselben Frau hat. Auch teilen beide eine ähnliche Denkweise, so haben beide ein geringes bis nicht vorhandenes Selbstwertgefühl und suchen die Schuld bei sich selbst.
Die Väter respektieren beide höherstehende Personen mehr. So sieht Hermann Kafka Räte von diesen als kaiserlich an und Herr Samsa setzt sich in Begleitung der Zimmerherren nicht einmal auf den eigenen Sessel, um nicht unhöflich zu wirken. Auch physisch haben sie einen ähnlichen Aufbau, so wird der Vater von Kafka als groß und kräftig und Gregors Vater nach seiner Verwandlung als aufrechtstehend und mit riesigen Füßen beschrieben. Des Weiteren haben die beiden die Macht, ihre Söhne niederzustampfen – Hermann Kafka durch die Mentalität und Herr Samsa mit seinen Füßen, also physisch.
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass es viele Gemeinsamkeiten zwischen den beiden Werken, hinsichtlich Gregor und seinem Vater sowie Franz Kafka und seinem Vater, gibt, sodass man sagen kann, dass Kafka seine eigenen Erfahrungen in seine Erzählung hat miteinfließen lassen, was zu diesen Parallelen geführt hat und zum Ende zum Tod von Gregor Samsa und zum Tod der mentalen Gesundheit von Franz Kafka.
Dass Franz Kafka ein einzigartiger Autor mit Begabung für das Schreiben ist, steht nicht zur Debatte. Aber inwieweit sind seine Werke fiktiv? Oder anders gefragt: Wie spiegelt sich Kafkas Leben in seinen Werken wider?
Diese Frage kann man mit seiner Erzählung „Die Verwandlung“ gut beantworten. Schaut man sich dieses Werk an, wirkt der Inhalt zunächst völlig willkürlich und ohne tieferen Sinn. Das Internet ist voll mit Kommentaren von Schülern, die sich beschweren und hinterfragen, ob sich Kafka überhaupt irgendetwas beim Schreiben gedacht hat. Zugegebenermaßen: Die Erzählung ist überraschend und gewiss auch herausfordernd. Aber nichtsdestotrotz kann man dieses Werk nicht etwa als „Hirngespinst eines Verrückten“ abstempeln. Ganz im Gegenteil. Wenn man Kafkas autobiographischen Text „Brief an den Vater“ als zusätzliche Referenzquelle gelesen hat, fallen einem schnell eine Menge an inhaltlichen Parallelen auf. Kafka führte ein sehr selbstkritisches Leben, welches durch Zweifel an seiner Persönlichkeit, aber vor allem durch ein angespanntes Vater-Sohn-Verhältnis geprägt war. Genau dieses Vater-Sohn-Verhältnis sollte uns bekannt vorkommen. Der Protagonist aus „Die Verwandlung“, Gregor Samsa, hat ein ähnliches Verhältnis zu seinem Vater. Das allein könnte natürlich auch ein Zufall sein, aber es gibt allein in diesen beiden Werken eine Menge an genaueren Übereinstimmungen. In seinem nie abgeschickten Brief beschreibt Kafka seinen Vater als „riesenhaft in jeder Hinsicht“. Auch Gregor Samsa sieht seinen Vater als eine riesige Gestalt an. Seine Größe wird im übertragbaren Sinne an der Textstelle „Gregor staunte über die Riesengröße seiner Stiefelsohlen“ deutlich.
Kafka beschreibt sich selber als „[…] grenzenlos schuldbewusst […]“. Auch Gregor Samsa ist schuldbewusst. Er arbeitet nur, „um die Schuld der Eltern […] abzubezahlen“.
So geht es immer weiter. Kafka erklärt, sein Vater drohte ihm regelmäßig mit „erhobene[r] Hand“. Diese Einschüchterung mit Androhung von physischem Leid erlebt auch Gregor, als er von seinem Vater mit Äpfeln beworfen wird. Natürlich gibt es noch eine Menge weiterer Überschneidungen, aber diese würden die Fülle eines einfachen Blogbeitrags wie diesen weit überschreiten. Trotzdem denke ich, allein schon die hier angeführten intertextuellen Gemeinsamkeiten reichen aus, um zu sagen: Franz Kafka versteckt in seinen Werken eine Menge an persönlichen Erfahrungen und Gefühlen. Seine Veröffentlichungen sind für ihn eine Chance, diese unausgesprochenen Zweifel und Ängste mit der Welt zu teilen, auch wenn sie so versteckt sind, dass es schwerfällt, diese ohne weiteres Hintergrundwissen zu erkennen.
Wenn man mich persönlich fragen würde, würde ich sagen, dass diese Widerspiegelungen seines eigenen Lebens, welche so kreativ verpackt worden sind, ein eindeutiger Beweis für sein einmaliges Schreibtalent sind. Kafka schafft mit seinen Werken eine eigene, neue Welt, welche wir als Leserinnen und Leser erst dann verstehen können, wenn wir anfangen, zwischen den Zeilen zu lesen.
In unserem Deutschkurs lasen wir „Die Verwandlung“ von Franz Kafka. Kurz darauf beschäftigten wir uns mit dem „Brief an den Vater“. Nun stellt sich nicht nur für mich, sondern auch für meine Mitschüler die Frage: Gibt es Parallelen zwischen „Die Verwandlung“ und „Brief an den Vater“ und sind Gregor Samsa und Franz Kafka die gleiche Person? Leute, die diese Werke schon gelesen haben und sich ein wenig über Franz Kafka informiert haben (so wie mein Kurs und ich es taten), wissen, dass „Die Verwandlung“ zwar ein fiktiver und kein autobiographischer Text ist, dennoch Wahrheiten aus Kafkas Leben, in dem von Gregor stecken. Zudem deutet die Verwandlung auf Kafkas Tuberkulose (Lungenerkrankung) hin. Außerdem stellt Gregors Beziehung zum Vater die Beziehung von Kafka zu seinem Vater dar. Bei der intertextuellen Arbeit in beiden Werken kommt man zu vielen Gemeinsamkeiten. Franz Kafka redet in seinem Brief davon, wie er sich vor lauter Angst und Furcht vor seinem Vater verkroch. So tut es auch Gregor, als sein Vater wütend und stampfend sein Zimmer betritt und der vertierte Gregor unter das Kanapee flüchtet. Des Weiteren stimmen die Aussagen über die Familienkonstellation überein. Gregor, als ältestes Kind und einziger Sohn, muss sich ganz alleine um die finanzielle Lage seiner Familie kümmern. Genau dies erwartete Herrmann Kafka von seinem Sohn. Franz Kafka, auch ältester, einziger Sohn musste die Familie über Wasser halten. Außerdem listet Kafka in seinem Brief Aspekte über seinen Vater auf, wie „Stärke, Gesundheit und Appetit“. Indem Gregor zum Schluss keinen Appetit mehr hat und nichts mehr isst, ist dies gleichzeitig ein Zeichen für Schwäche und Krankheit, also genau das Gegenteil zum Vater. Faktoren, wie beispielsweise Appetitlosigkeit, führen am Ende zum Tod Gregors. Was Kafka in seinen beiden Werken tut, gleicht einem Verarbeitungsprozess von Sorgen und Schuldgefühlen. Er bringt Gefühle, Gedanken und Emotionen zu Papier, welche er seinem Vater nie hätte mitteilen/preisgeben können. Nur durch einen engen Freund und Nachlassverwalter Kafkas, Max Brod, konnten diese zwei tiefgehenden Texte veröffentlicht werden, welche viele Menschen heute zum Nachdenken anregen. „Wer hatte in dieser abgearbeiteten und übermüdeten Familie Zeit sich um Gregor mehr zu kümmern, als unbedingt nötig war?“. Im Hinblick auf dieses Zitat aus „Die Verwandlung“ sieht man, wie einsam Kafka doch mit seinen Gefühlen, Problemen und seiner Krankheit war. Er selber empfindet noch Mitleid mit seiner Familie, indem er diese als abgearbeitet und übermüdet beschreibt, wobei er es doch war, der jeden Tag arbeitete, um seine Familie zu verpflegen. Kafkas fiktive Figur Gregor Samsa beschreibt nicht nur, wie es Kafka selber damals erging, sondern auch das Leben vieler anderer zu der Zeit. Den sozialen Druck, dem junge Menschen damals gerecht werden mussten, spüren sicherlich auch heute noch Menschen, die versuchen, den Ansprüchen anderer gerecht zu werden – Menschen, die sich auch alleine und mit ihren Gedanken und Problemen im Stich gelassen fühlen. Also ja, Gregor Samsa durchlebt die gleichen Hürden wie Franz Kafka es tat und ist somit ein Teil seiner Identität.
Foto Irene Schröder: Die Verwandlung