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29. 04. 2025

Intertextualität bei Kafka,Teil III.

Blogbeiträge von Schülerinnen und Schüler des Immanuel-Kant-Gymnasiums in Heiligenhaus im Rahmen der Unterrichtsreihe Franz Kafka "Die Verwandlung"

  • Greta Schlenker: Franz Kafka = Gregor Samsa?

  • Leni Voß: Die Verwandlung - nur eine Erzählung?

  • Lily Hunt: Franz Kafka - gemeiner oder hilfloser Sohn?

  • Lina Nickel: Intertextualität zwischen "Die Verwandlung" und "Brief an den Vater" - zwei Werke, ein zentrales Thema

Katerina Hovorková: Die Illusion der Verwandlung

Greta Schlenker: Franz Kafka = Gregor Samsa?

Väter sind Leitpersonen, oder nicht? Nun ja, so sollte es zumindest normalerweise sein. Wir alle würden heutzutage unserem Vater eine WhatsApp-Nachricht schreiben oder ihn anrufen, wenn uns etwas beschäftigt. Doch bei Franz Kafka sitzen die Gefühle tiefer und er schreibt seinem Vater einen Brief. Er fürchtete ihn. Empfindet Gregor Samsa nicht eine ähnliche Furcht vor seinem Vater? Ist das ein Zufall? Ist das nicht geradezu kafkaesk? Nein, im Gegenteil. Diese Intertextualität gleicht einem Verarbeitungsprozess von Sorgen, Schuldgefühlen und der Vergangenheit, auf eine Art und Weise, die ich so noch nie zuvor gesehen habe.

Kafka verarbeitet beim Schreiben von „Die Verwandlung“ einige seiner eigenen Gefühle. Dadurch entstehen auffällige Parallelen zwischen Gregor Samsa und Franz Kafka. Doch macht es Gregor Samsa damit zur gleichen Person wie Franz Kafka?

In seinem „Brief an den Vater“ beschreibt Kafka seine Angst vor seinem Vater, Hermann Kafka. Er verkriecht sich in seiner Jugendzeit vor ihm und wirft ihm vor, er habe keine Ahnung, welche Macht und welchen Einfluss er auf seinen Sohn ausübte. Genau das Gleiche widerfährt Gregor Samsa. Nach seiner Verwandlung verkriecht er sich voller Furcht vor dem Vater in seinem Zimmer. Dass dieser von seiner Macht keine Ahnung zu haben scheint, verdeutlicht der Apfelwurf: Gregor stirbt an den Folgen dessen.

Nicht nur Kafka verlernte in seiner Kindheit durch den Einfluss seines Vaters das Reden, auch Gregor kann sich nach seiner Verwandlung nicht mehr verständigen. Die Beziehungen von Franz Kafka zu Menschen außerhalb der Familie litten unter dem Einfluss seines Vaters – ebenso wie Gregor, der keine außerfamiliären Beziehungen pflegt.

Diese Intertextualitäten ließen sich noch weiter ausführen, doch die eigentliche Frage, die ich mir die ganze Zeit stelle, wäre damit immer noch nicht beantwortet. Beschreibt Franz Kafka sich selbst als Gregor Samsa?

Vielleicht, vielleicht auch nicht. Letztlich muss jeder Leser für sich selbst eine Antwort darauf finden. Ich möchte euch mit meiner Meinung nicht beeinflussen, doch eins steht für mich fest: Hinter Franz Kafka steckt weitaus mehr als nur ein normaler Autor. 

 

Leni Voß: Die Verwandlung - nur eine Erzählung?

Bei Franz Kafka erleben wir in „Die Verwandlung“, wie sich ein junger Mann eines Nachts in einen grotesken Käfer verwandelt und somit die wahren Beziehungen, besonders in Hinsicht auf den Vater, erkenntlich werden. Der „Brief an den Vater“ zeigt uns ebenfalls eine Vater-Sohn-Beziehung, eventuell sogar dieselbe?

Beim Lesen dieser zwei Werke behaupte ich, sehen zu können, dass der Vater in der Autobiografie ebenso in der fiktiven Erzählung eine Rolle einnimmt, die auf Franz Kafkas Vergangenheit zurückzuführen ist. Schon die sprachlichen Parallelen sind auffällig. Im „Brief an den Vater“ nutzt Kafka gleich zu Beginn das Wort „verkriechen“, welches unweigerlich an die Verwandlung erinnert, wo Gregor als Käfer unter das Sofa flüchtet. Dies verdeutlicht die unterwürfige Haltung bei den Figuren, sowohl Franz Kafka selbst als auch Gregor fühlen sich dem Vater derart unterlegen, dass sie sich nur noch verstecken können.

Darüber hinaus drückt Kafka in beiden Werken die Furcht gegenüber seinem Vater aus. Gregor erfährt diese Angst aktiv, beispielsweise durch den Apfelwurf oder die Vertreibung mit einem Stock. Beide Momente betonen die Distanz zwischen Vater und Sohn. Ähnlich beschreibt Kafka im „Brief an den Vater“ die Bedrohlichkeit seines Vaters, wenn er ihn als übermächtig und gewalttätig beschreibt. Diese Parallele lässt vermuten, dass Gregors Verwandlung eine metaphorische Darstellung von Kafkas eigenen Gefühlen ist – u. a. das Gefühl, sich in etwas Wertloses zu verwandeln, das nicht mehr in die Familie passt.

Da der Vater in beiden Werken sehr kalt und unnahbar wirkt, besonders in Bezug auf den jeweiligen Sohn, kann ich einen weiteren Zusammenhang feststellen: die fehlende väterliche Liebe. Statt Liebe spüren sowohl Gregor als auch Kafka in ihren Situationen nur Unzufriedenheit, Ablehnung und Fremdheit. Der Vater projiziert in beiden Fällen seinen Ärger über die Situation auf den Sohn, sei es, weil Gregor nach der Verwandlung nutzlos wird oder weil Kafka nicht den Erwartungen seines Vaters entspricht.

Kafka spiegelt in „Die Verwandlung“ seiner eigene Vater-Sohn-Beziehung in symbolischer Form wider. Die Annahme, dass er damit seine persönlichen Erfahrungen verarbeitet, halte ich für gut möglich, denn die Parallelen zwischen den beiden Werken sind zu zahlreich und zu präzise, um zufällig zu sein.

Doch bleibt die Frage: War die Verwandlung für Kafka ein Weg, sich mit seinem Vater auseinanderzusetzen, oder ein stiller Hilferuf, den niemand erhört hat?

Lily Hunt: Franz Kafka - gemeiner oder hilfloser Sohn?

Wieso schreibt man einen Brief an seinen Vater?

Franz Kafka zumindest hat dies getan, um seine unausgesprochenen Gedanken einmal zu verschriftlichen, da er selbst wusste, dass er sich niemals überwinden würde, sie seinem Vater mitzuteilen. Hätte Gregor Samsa das dann nicht auch einfach tun können? Oder könnte man sogar sagen, dass Kafkas „Brief an den Vater“ genauso Gregors Brief an den Vater sein könnte?

Wie vermutlich allen Kafka-Lesern bewusst ist, gibt es viele intertextuelle Gemeinsamkeiten in beiden Werken: Besonders auffällig ist dabei die Vater-Sohn-Beziehung, welche in beiden Werken sehr ähnlich ist. Beispielsweise spricht Kafka in seinem „Brief an den Vater“ über Furcht. Diese Furcht empfindet er sehr stark seinem Vater gegenüber. In „Die Verwandlung“ fürchtet sich Gregor auch vor seinem Vater und wird schließlich auch von ihm mit einem Apfel beworfen. Ist das nicht normal? Oder hat Kafka Furcht mit Respekt verwechselt? Meiner Meinung nach ist das, wovon Kafka spricht, eher eine Form des Respekts. Er hat jedoch auch Angst, aber nicht unbedingt vor seinem Vater, sondern eher vor den Konsequenzen, welche seine Meinungsäußerung und sein Widerstand gegen seinen Vater mit sich bringen würden.

Im „Brief an dem Vater“ erwähnt er, dass seine Mutter immer für ihn da war, dies aber nur in Beziehung zu seinem Vater. Ähnlich hierzu bildet sich in „Die Verwandlung“ nach Gregors Metamorphose eine so zu deutende Dreiecks-Konstellation des Vaters, der Mutter und seiner Schwester, Grete.

Außerdem spiegelt die berufliche Situation von Herrn Kafka die des Herrn Samsas relativ genau wider. Diese Situation, welche mit Frust und Groll gefüllt ist, zeigt wiederholt den Groll und die Eifersucht des Vaters (Herrn Samsa/ Hermann Kafka) auf seinen Sohn (Gregor Samsa/ Franz Kafka). Zudem wird noch die Enttäuschung, welche die Söhne für die Väter sind, deutlich.

Insgesamt lässt sich aufgrund der intertextuellen Gemeinsamkeiten deuten, dass Franz Kafka ein hilfloser Sohn war, welcher einen Brief an seinen Vater geschrieben hat, um seine Gedanken in irgendeiner Form zu äußern. Außerdem lässt sich vermuten, dass das Schreiben für ihn wie eine Art Therapie war, seinen Frust zu verarbeiten.

 

Lina Nickel: Intertextualität zwischen "Die Verwandlung" und "Brief an den Vater" - zwei Werke, ein zentrales Thema

Franz Kafkas Werke sind geprägt von Existenzangst, Isolation und dem schwierigen Verhältnis zu seinem autoritären Vater. Besonders deutlich wird dieser Konflikt in „Die Verwandlung“ (1915) und dem „Brief an den Vater“ (1919). Während der Brief eine direkte Konfrontation mit der überlegenen Vaterfigur darstellt, übersetzt „Die Verwandlung“ diese Auseinandersetzung in eine fiktive, tragische Erzählung. Doch trotz unterschiedlicher Formen spiegeln beide Werke die kafkaeske Angst vor Ablehnung und Isolation wider.

In „Die Verwandlung“ begegnet Gregors Vater ihm mit Härte und Gewalt. Dies erinnert an Kafkas Beschreibung seines Vaters im „Brief an den Vater“ als streng, emotional unnahbar und abweisend. Aber trotz des aggressiven Verhaltens des Vaters, beschrieben im „Brief an den Vater“ und symbolisiert in „Die Verwandlung“ durch den Apfelwurf, scheint die fiktive Figur Gregor sowie der Autor Kafka immer noch Respekt vor der Vaterfigur zu haben, da beide ihre jegliche Schuld abstreiten. Die Entmenschlichung und Isolation Gregors spiegeln Kafkas, durch seine schwierige Vater-Sohn-Beziehung verursachten Gefühle wider. Das Ungeziefer, als das Gregor häufig bezeichnet wird, repräsentiert Kafkas Eigenreflektion, welche aufgrund des herabblickenden Benehmens entstanden ist.

Mit Hinblick auf die Intertextualitäten zwischen den beiden Werken ist klar, dass sie zwar eng miteinander verwoben sind, die Frage ob und inwiefern Kafka sich aber an seiner Beziehung zu seinem Vater für „Die Verwandlung“ hat inspirieren lassen, lässt den Interpretationsspielraum weiterhin groß sein und dies zu beurteilen, ist daher jedem von uns selbst überlassen.

Foto Kateřina Hovorková: Die Illusion der Verwandlung

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