Programm
Kafka steht wie wenige Autoren für ein existenzielles Schreiben, das Leser/-innen und Rezipient/-innen weltweit anspricht. Jede Generation fühlt sich neu von ihm provoziert, jede Generation sucht daher nach eigenen Zugangswegen zu ihm und seinem Werk, nach neuen Formen der Aneignung. Am 3. Juni 2024 jährt sich Kafkas Todestag zum 100. Mal. Aus diesem Anlass tun sich die drei Einrichtungen, die weltweit die größten Kafka-Bestände verwahren, die National Library of Israel, die Bodleian Libraries Oxford und das Deutsche Literaturarchiv Marbach, zusammen, begreifen in Ausstellungen und Veranstaltungen Kafka als globalen Autor und setzen dabei zugleich sein Werk in je lokale Kontexte.
Ohne Zweifel gehört Kafka heute zu den meistgelesenen, aber auch zu den nach wie vor rätselhaftesten Autoren der Weltliteratur. Das DLA möchte Kafka anhand von Originaldokumenten und mit bislang Ungezeigtem aus dem Archiv aus seiner Zeit heraus betrachten und zugleich in unsere Gegenwart hineinversetzen. Dabei wirft sie Schlaglichter auf Kafkas Herkunft und sein Leben im Prager Schmelztiegel, auf seine Lektüren und Verfahren, seine Wort- und Bildwelten. Vor allem aber spürt die Ausstellung der Kafka-Lektüre und der produktiven und künstlerischen Rezeption seiner Werke nach. Sie fragt also: Wer war eigentlich dieser Kafka, diese »außergewöhnliche und tiefe Welt«, als die ihn Milena Jesenská in ihrem Nachruf bezeichnete? Was verraten seine Bibliothek und die Zeugnisse seiner Lektüren (zum Beispiel in Briefen) über den Leser Kafka? Inwiefern regen seine Lektüren sein Schreiben an? Wie entstehen seine Texte? Was verraten die Manuskripte etwa durch seine Handschrift, durch Korrekturen, Streichungen, Ergänzungen über Kafkas Arbeits- und Schreibweise, was über ihn selbst als Leser seiner eigenen Texte? Wie wurden und werden die Texte dieses Weltautors, von denen sich jede Generation neu provoziert fühlt, gelesen? Wo und wie verändern sich diese Texte je nach dem Kontext, dem Ort und der Zeit ihrer Lektüre? Warum und wie wird seine Literatur Inspiration für andere Medien?
Gezeigt werden Manuskripte, Briefe, Fotos und Erinnerungsstücke von Kafka aus den Beständen des DLA – darunter Der Prozess und kleinere Erzählungen wie Richard und Samuel und Der Dorfschullehrer sowie Briefe u. a. an Grete Bloch (und indirekt über sie an Felice Bauer), Max Brod, Josef David, Willy Haas, Milena Jesenská, Ottla Kafka, Hedwig Weiler und Felix Weltsch. Ergänzt werden sie durch Erinnerungs-, Lese- und Rezeptionsspuren, die sich in den Archivbeständen und Autor/-innen-Bibliotheken von Kafkas Zeit bis zur Gegenwart finden. Die Handschriften und Lebenszeugnisse Kafkas werden also konfrontiert mit Manuskripten, Briefen, Büchern und Dokumenten etwa von Ilse Aichinger, Hannah Arendt, Max Bense, Hans Blumenberg, Paul Celan, Peter Handke, Hermann Hesse, Siegfried Kracauer W. G. Sebald und Martin Walser. Eine wichtige Rolle spielt dabei auch der Vorlass des Kafka-Forschers Hartmut Binder, der dem DLA neben Originalfotografien von Kafka, seinen Eltern und seiner Schwester Ottla die Sammlung der oft seltenen ›verlorenen Bücher‹ Kafkas übergeben hat.
In einem ›Kafka-Lab‹, das im Rahmen einer Forschungskooperation mit dem Leibniz-Institut für Wissensmedien in Tübingen entsteht, können die Besucher/-innen mit einer VR-Brille eintauchen in das ›Manuskript-Universum‹ von Kafkas Prozess. Sie werden angeregt zum Nachdenken über Kafkas Stil, indem sie anhand eines Korpus, das aus originalen Textstellen und KI-generierten ›Kafka-Texten‹ besteht, entscheiden müssen: Ist es Kafka oder nicht? Und schließlich können sie ihre Lektüre des Prozess mit der anderer Prozess-Leser/-innen vergleichen, indem sie an einer interaktiven Station sehen, wie andere den Text lesen und was die Lektüre in ihnen auslöst. Dabei können die Besucher/-innen auch ihre eigenen Lektüreerfahrungen erfassen und sich so nicht nur in die Ausstellung einschreiben, sondern auch Teil eines empirischen Forschungsprojekts werden.
›Kafkas Echo‹ wird gefördert von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien. Das Begleitprogramm (Social Media, Seminarreihe und Vermittlungsprogramm) wird gefördert durch das Auswärtige Amt.
Weitere Informationen unter: https://www.dla-marbach.de/.
Franz Kafka, eigenhändige Zeichnung. Foto: DLA Marbach.